Buchvorstellung

16.01.2020 (Donnerstag) 20:00 - 23:00

Saal

BUCHVORSTELLUNG

Donnerstag 16. Januar 2020     20 Uhr      Centro Sociale

MIT DER AUTORIN FRANZISKA BRUDER

DAS EIGENE SCHICKSAL SELBST BESTIMMEN

FLUCHTEN AUS DEPORTATIONSZÜGEN DER „AKTION REINHARDT“ IN POLEN

Zwischen März 1942 und Herbst 1943 wurden andert- halb Millionen überwiegend polnische Jüdinnen und Juden in die NS-Vernichtungslager Treblinka, in Bełżec und Sobibór deportiert und dort ermordet. Nachdem die Funktion der Lager bekannt geworden war, bereiteten sich viele Juden auf die Flucht vor und sprangen unter Lebensgefahr aus den schnell fahrenden und schwer bewachten Todeszügen. Diese Fluchten sind ein bislang zu wenig beachteter Aspekt des jüdischen Widerstandes gegen die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten.

FRANZISKA BRUDER stellt ihr Buch anhand ausgewählter Biografien von Springer*innen vor und berichtet von den Bedingungen, unter denen solche Fluchten scheiterten, aber auch gelangen. Sie erzählt vom Überleben der Entkommenen während der langen Zeit bis zum Ende des Krieges.

Donnerstag. 16. Januar 2020     20 Uhr
Centro Sociale

Sternstraße 2 (S-Bahn Feldstraße)

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»Im Ghetto hatte man uns beigebracht,
wie man springen sollte: Auf jeden Fall
in Fahrtrichtung des Zuges.«

Meyer Studnik war 15 Jahre alt und Mitglied des Hashomer Hatzair, als er im Februar 1943 aus dem Ghetto Białystok deportiert wurde. »Im Ghetto hatte man uns beigebracht, wie man springen sollte: Auf jeden Fall in Fahrtrichtung des Zuges. Kurz vor dem Ziel stand ein weißes Wächterhäuschen. Hinter dem Häuschen legte sich der Zug in die letzte Kurve, hinter der jeder Fluchtversuch sofort aufgefallen wäre.

Sobald ich am Horizont also das Häuschen ausgemacht hatte, stieg ich hinauf zum Fenster und versuchte, mich hindurch zu quetschen. Als die Frauen unter mir sahen, was ich vorhatte, schrien sie und versuchten, mich wieder hinunterzuziehen. Trotzdem gelang es mir durch das kleine Fenster zu kommen.
Kaum war ich draußen, sah ich, wie ein anderer am Zug hängender Mann versuchte zu springen. Prompt knallte ein Schuss und der Flüchtling fiel schlaff zu Boden. Jetzt konnte ich immer mehr am Boden liegende Leichen erkennen, an denen wir vorbeirauschten. Und ich wusste, was zu tun war. Als mich eine vom Zug ausgestoßene Rauchschwade umhüllte, sprang ich. [...]

Es war tiefer, als ich gedacht hatte, und als der Aufprall auf dem Boden dann doch kam, kam er unvermittelt und hart. Die Soldaten, die die Aufgabe hatten, auf Flüchtende zu schießen, und die durch den Rauch beinahe blind waren, schossen in die Kreuz und die Quer, wie verrückte Maschinengewehre. Ich hielt es für das Beste, mich tot zu stellen. Und so ratterte der volle Zug mit hunderten von armen, zum Tod verdammten Seelen an mir vorbei und verschwand hinter besagter letzter Biegung.«

reihe antifaschistischer texte unrast-Verlag
ISBN 978-3-89771-826-5 552 Seiten · 29,80 €

https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/das-eigene-schicksal-selbst-bestimmen-detail