Workshop: Nach der Krise ist vor der Krise – Lessons learned?

02.05.2020 (Samstag) 13:00 - 17:00

Kolleg
Kolleg-Vorraum

Der Siegeszug des fiktiven Kapitals. Wie Kapitalismus wurde, was er ist.

Die nächste Krise wird möglicherweise bald über uns hereinbrechen: Börsencrashs, Wirtschaftseinbrüche durch Nullzinspolitik, neue Handels- und andere Kriege sind nur einige der prophezeiten Szenarien. Selbst die FED (US-Notenbank) warnt vor dem riesigen Schattenbankenreich, das sich weiter ausdehnt, und vor CLOs (Collateralized Loan Obligations), einer Kapitalmarktpraxis, in der Unternehmensanleihen in derselben Weise verwertet werden wie bei der letzten Krise Immobilienkredite verwertet wurden. Und auch in diesem Feld der Immobilien gibt es wieder explosive Aktivitäten: Die Preise für US-Privatimmobilien sind höher als 2007, dem Höhepunkt der letzten Immobilienblase.

Und wenn die nächste Krise ausbricht, so wetten wir, werden wieder die Schuldigen gesucht werden. Die „Realwirtschaft“ soll dann wieder da und dort zu viel oder zu wenig investiert, der Staat zu viel oder zu wenig reguliert haben, aber vor allem wird wieder von der „Gier“ der Finanzmärkte die Rede sein. Ebenso wetten wir, wird es dann alle möglichen Vorschläge geben, was Politik, „Realwirtschaft“ und Finanzmarkt nun zu tun hätten. Als wären Krisen im Kapitalismus vermeidbar, würden nur die richtigen Schlüsse gezogen. Dabei war eins bisher in der Geschichte des Kapitalismus so sicher wie das Amen in der Kirche: das Auftreten von Wirtschaftskrisen.

Die breite Masse wird wieder den Schaden am eigenen Leib spüren. Dann wird es spannend werden, wieviel Empörung daraus entsteht und wohin sie sich richten wird. Die sogenannten Rechtspopulisten sind schon in den Startlöchern, um alte und neue Sündenböcke anzubieten. Es gibt für uns also wichtige Gründe, die richtigen Lehren aus der letzten Krise zu ziehen, um uns angemessen auf die kommenden Verwerfungen einzustellen.

Um das auf uns Zukommende besser einordnen zu können, möchten wir es in unserer Veranstaltung in einen doppelten Kontext stellen. Erstens werden wir miteinander bei Krisen immer auch auf den ganzen Zyklus blicken, also wie jeweils der Wirtschaftsaufschwung stattfand und wie es dann zu den Krisen kam. Zweitens möchten wir die Gegenwart nicht allein mit dem letzten Zyklus (Aufschwung 2002-07 sogenannte „US-Immobilienkrise“ 2007-09), sondern auch mit dem Zyklus davor vergleichen, der 2000-01 in der sogenannten „Dotcomkrise“ mündete. Das mag gewagt erscheinen, da die beiden resultierenden Krisen in ihrem jeweiligen Ausmaß und den jeweiligen Reaktionen der Staaten sehr unterschiedlich waren.

Die Gemeinsamkeiten versprechen jedoch aufschlussreich zu werden. Die letzten beiden Zyklen mit dem aktuellen gedanklich zu verbinden, möge uns deswegen eine leitende historische und theoretische Aufgabe werden. Wir werden uns dabei mit Karl Marx beschäftigen, damit, was er über Zyklen und Krisen seiner Zeit geschrieben hat und gemeinsam ein wenig spekulieren, was er wohl zu unserer Gegenwart sagen würde. Und wenn wir zusammen die Aufschwünge unter die Lupe nehmen, dann werden wir auch zwei weit voneinander entfernte Marxsche Begriffe zu Hilfe ziehen: Erstens „industrielles Kapital“ und zweitens „fiktives Kapital“. Unter „industriellem Kapital“ fasst Marx die sogenannte „Realwirtschaft“, Produktion, Dienstleistung und Handel. „Fiktives Kapital“ hingegen sind für ihn aus Anleihen und Aktien gebildete verkäufliche Wertpapiere, die dadurch eine zweite wirtschaftliche Existenz annehmen. Heute wird dabei vom Kapitalmarkt, Verbriefungen und Derivaten gesprochen. Fiktives und industrielles Kapital sind gänzlich unterschiedliche Wachstumssysteme, die mit- und gegeneinander agieren können. Hier werden wir miteinander diskutieren, wie weit die Marxschen Erkenntnisse uns bringen werden und wie weit wir mit ihm und vielleicht sogar über ihn hinaus weiterdenken sollten.

Workshop in Kooperation der MASCH Hamburg mit Daniel Butscher und Simon Birnbaum von AntikapWiki. Dies ist ein Projekt im Werden, das versucht, Kapitalismuskritisches in Schrift, Bild und Ton zu sammeln, mit dem Ziel, es möge auch ohne Vorwissen leicht verständlich sein.